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Erlebbare Medizin – der Nachhaltigkeit verpflichtet

Wenn Medizin und Versorgungsqualität zusammenwachsen, können Patienten nicht nur auf höchstem Niveau versorgt, sondern auch deren Lebensqualität verbessert werden. Den vielfältigen Herausforderungen im Gesundheitswesen antworten moderne Kliniken daher mit einer umfassenden Qualitätsoffensive, bei der Ernährung und Medizin zusammenwachsen.

Sowohl Über- als auch Untergewicht und die diese begleitende spezifische Mangelernährung sind klinisch relevant. Überschreitet das tatsächliche Gewicht das Sollgewicht um mehr als 10-20 Prozent so resultiert daraus ein erhöhtes Operationsrisiko mit Lungen- und Atemproblemen. Übergewicht stellt auch den längerfristigen Operationserfolg insbesondere bei Beteiligung der Herzfunktion in Frage. Patienten mit einem Risiko für Mangelernährung bzw. bereits vorhandener Mangelernährung weisen eine bis zu doppelt so lange Krankenhausaufenthaltsdauer auf und haben mehr Komplikationen sowie eine verzögerte Genesung. Sollen die Forderungen der letzten DGE-Fachtagung in Leipzig vom 19.06.2010 umgesetzt werden, müssen sich Fachkräfte unterschiedlicher medizinischer Bereiche, der Pflege und der Ernährungswissenschaft an einen Tisch setzen. Mit dem Instrument Qualitätszirkel werden spezifische Bedingungen der Klinik, Anforderungen des Patientenklientels sowie Möglichkeiten und Stärken des medizinischen und diätetischen Angebots eingehend analysiert, strukturiert und Schritte für die Implementierung verbesserter Standards gemeinsam entwickelt. In einem Qualitätsmanagementprozess sind dabei alle beteiligten Gruppen Ärzte, Pflege und Diätassistenz für die Bedeutung der Ernährung zu sensibilisieren, Checklisten und Abläufe zu entwickeln und gemeinsam eine sowohl effiziente als auch aufmerksame Patientenbetreuung zu gestalten.

Neben der Gewichtsoptimierung trägt die Versorgung mit Vitaminen und Spurenelementen durch frische, hochwertige Lebensmitteln wesentlich zum Behandlungserfolg bei. Mangelernährung wie auch Übergewicht können Entzündungsprozesse hervorrufen, welche zusätzlich die Grundkrankheit verstärken und die Prognose deutlich verschlechtern. Die bedarfsgerechte Versorgung von Schwerstkranken wird zudem von vielen Hindernissen, Kau- und Schluckbeschwerden, krankheits- oder therapiebedingte Appetitlosigkeit, Operationen begleitet. Das macht es selbst preisgekrönten Köchen nicht einfach, Patienten bei Kräften zu halten. Eine bilanzierte Diät, mit passendem Aminosäurenmuster und geeigneten Fette bei Chemotherapie oder eine passierte Kost bei Schluckbeschwerden braucht sich heute jedoch nicht mehr verstecken. Heute gibt es überaus schmackhafte Obst- und Gemüsezubereitungen aus der Klinikküche, die einem Feinkostrestaurant entstammen könnten. Die Zusammensetzung der Speisen während einer Chemotherapie kann zur Verbesserung der Verträglichkeit, dem Schutz der gesunden Zellen und zu einer besseren Wirkung der Chemotherapie beitragen. Greifen die im Ernährungsteam entwickelten Interventionen nicht, sind Nahrungsergänzungsmittel in Erwägung zu ziehen, die jedoch ebenso wie die Nahrung selbst zu Interaktionen mit Medikamenten führen können. Der zusätzliche Einsatz von Nährstoffpräparaten bei Kachexie gehört daher in die Hand eines erfahrenen Arztes, der diese stets mit der Chemotherapie und Bestrahlung abstimmt.

Neben der passenden Nährstoffmenge und Zusammensetzung der Mahlzeit ist es Aufgabe der Ernährungstherapie, die Vielzahl an möglichen Wechselwirkungen zwischen Medikamenten und Nährstoffen zu bedenken, welche den Therapieerfolg schmälern könnten. Dies gilt gerade bei schwer- oder chronisch erkrankten Patienten mit Beteiligung von Lunge oder Herz. Insbesondere ältere oder chronisch Erkrankte, die einer Mehrfachmedikation unterliegen, weisen einen schlechten Ernährungsstatus auf. Klinisch relevante Risiken oder Auswirkungen einer Arzneimittel-Nährstoff-Interaktion können in einem Qualitätsmanagementsystem erfasst und entsprechende Gegenmaßnahmen in einem kontinuierlichen Verbesserungsprozesses entwickelt werden. Eine daraus sich ergebende Kostendämpfung wäre beträchtlich bzw. könnte weiter in die Versorgung und Betreuung der Patienten investiert werden.

Ernährungstherapeutische Maßnahmen sehen deshalb den Menschen als Essenden im Mittelpunkt. Auch der Schwerstkranke hat ein Anrecht auf sinnliche Genüsse, selbst wenn er bereits parenteral ernährt wird oder nur noch wenig zu sich nehmen kann. Der regionale Bezug der Speisen und die kulturelle Einbindung tragen für den Essenden zur Erhöhung der Lebensqualität bei. Die Mahlzeit ist mehr als nur Nahrungsaufnahme, sie ist auch Teilhabe, Erinnerung, ein Teil der Selbstkompetenz und Selbstpflege eines Jeden, die dem Kranken auch in einer Klinik nicht entrissen werden sollen. Der Aufbau von Lebensmittelbündnissen zwischen Herstellern der Region und einer Klinikküche sowie die Wiederentdeckung kultureller Eigenheiten ist daher ein wichtiger Teil einer ernährungswissenschaftlichen Qualitätsoffensive. In regelmäßigen Schulungen und Teambesprechungen werden klinische Therapieabläufe hinterfragt, das Ineinandergreifen mit pflegerischen Standards optimiert und Schnittstellen zur Verbesserung der Ernährungssituation von Patienten definiert. Ergebnisse daraus gehen in das Entlassmanagement ein. Die Teilhabe von Patienten und Angehörigen an der Gestaltung des Essalltags wie auch die Aufklärung zum Therapieprozess ist dabei ein wichtiger Baustein. Um den in der Klinik erreichten Erfolg zu Hause oder im Pflegeheim fortführen zu können, müssen Abläufe wieder überdacht und angepasst, patientenspezifische Besonderheiten dem Hausarzt mitgeteilt werden. Die gemeinsame Planung führt zu einer verbesserten Kommunikation aller Beteiligten, die notwendig ist, um den tatsächlichen Unterstützungs- und Versorgungsbedarf des Patienten zu erfassen.

Für eine gesundheitsförderliche Verpflegung können von der DGE Qualitätssiegel erworben werden. Das Logo zeigt dem Gast, dass sich das Küchenteam bei der Konzipierung und Zubereitung der nährwertkontrollierter Speisen optimal auf seine Bedürfnisse einstellt und ihm einen ausgewogenen, vollwertigen Speisenplan anbietet. Mit patientenspezifisch erstellten, ernährungsmedizinische Interventionen kann die Krankenhausaufenthaltsdauer bis zu 30% reduziert und eine Symptomlinderung erreicht werden. Gerade für Tumorkranke sind die Tage, die zusammen mit Angehörigen verbracht werden können, ein absoluter Gewinn an Lebensqualität. Die ernährungsmedizinische Leistungsstärke und Qualität einer Einrichtung, bei der Ernährung und Genuss als Gesundheitsfaktoren in die Serviceleistungen von Medizin, Pflege und Gastronomie integriert wurden, ist nicht nur ein Aushängeschild, sondern ein schmackhafter, kostensparender und medizinisch sinnvoller Weg.